29.12.16 Inklusion - Eine menschenrechtliche Herausforderung für die Pädagogik
Im April 2014 ratifizierte die Schweiz die UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK). Aus ethischer und rechtlicher Sicht leitet sich die BRK aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 ab. Rechtsverbindliche Texte bedürfen der Interpretation. Oskar Dangl unterschied zwei Lesarten der BRK, die sich in den letzten Jahren etabliert haben: a) den intentional-universalen und b) normativ-realistischen Interpretationstyp. Der erste Typus zeichnet sich durch eine strikte Auslegung der Rechtsnorm aus und verlangt die konsequente Inklusion von Menschen mit Behinderung in das staatliche Bildungswesen. Der zweite Typus anerkennt die Normativität, Zielrichtung und Verbindlichkeit der BRK, sieht aber unter den Erfahrungen in der Praxis Ausnahmen vor. Im Sinne von – die Ausnahme bestätigt die Regel.
Die BRK stellt einen grundlegenden Perspektivenwechsel dar. War die Betreuung und Pflege von Menschen mit Behinderung bis zur BRK ein Akt der Fürsorge, wurde sie zum (justiziablen) Recht. Damit wurden die «Objekte» der Fürsorge zu einem «Rechtssubjekt», das ein Recht auf umfassende Inklusion geltend machen kann. Das hat weitreichende Folgen für ein Bildungssystem, das traditionell anhand erbrachter Schulleistungen die Schülerinnen und Schüler selektioniert. Im Rahmen einer Pilotstudie befragte Oskar Dangl 28 erfahrene Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen zu ihren Erfahrungen in der Praxis sowie zu den Gelingensbedingungen der Inklusion. Lehrpersonen aus der Praxis neigen zum zweiten Interpretationstypus der BRK.
Die abschliessende rege Diskussion zeigte deutlich, dass jeder Interpretationstypus zu unterschiedlichen, sich zum Teil widersprechenden Wirkungen und Nebenwirkungen führt.
Text: Prof. Dr. Damian Miller, Dozent Pädagogik und Psychologie
Bildquelle: Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems